Bayern, Heimat, Tradition, Brauchtum - gestern, heute, morgen
Die Zeit, als es noch nicht gut war, aber auch nicht mehr schlecht
Freude über reparierte Straße mit einem Gehwettbewerb gewürdigt
Ich werde vielleicht 11 bis 12 Jahre alt gewesen sein, als mein Vater Karl Giglinger zusammen mit meinem Onkel Franz Strasser und unserem Vermieter Heini Honisch in seliger Bierlaune bei einem Plausch vor unserem Haus eine sonderbare Vereinbarung traf. Es ging um die ziemlich ramponierte Staatsstraße zwischen Vogtareuth und Rosenheim, die direkt bei uns vorbeiführte. Wir saßen wie so oft bei schönem Sommerwetter auf der Gred zusammen (Die Gred ist der gepflasterte, meist leicht erhöhte Bereich vor den Hauseingängen). Man sprach über Gott und die Welt. Vor allem was einem freute und ärgerte. Obwohl Autos damals für viele Menschen noch ein meist unerfüllter Traum war, gab es doch schon etliche dieser Wirtschaftswunderjahre. Ich denke da an den VW-Käfer, das Goggomobil, die Isetta, den DKW, Opel und Lloyd und wie sie alle hießen. Da ich bis heute ein etwas gestörtes Verhältnis zu den motorisierten Gefährten auf vier Rädern habe, bin ich überfragt, was zu dieser Zeit unterwegs war. Jedenfalls trugen sie dazu bei, dass sich die 1951 geteerte Straße nach relativ kurzer Zeit wieder in einem reparaturbedürftigen Zustand befand. Bei jedem Auto und Motorrad, das vorbeifuhr, staubte es ganz fürchterlich. Wir waren deshalb alle froh, dass die demolierte Straße in absehbarer Zeit aus-oder nachgebessert werden sollte. Die anwesenden Herren der Schöpfung waren davon so angetan, dass sie den Vorschlag meines Vaters, einen Gehwettbewerb zu veranstalten, mit Handschlag zustimmten. Gesagt, getan. Als die Straße nach ein paar Wochen repariert war, verwirklichten sie ihr Vorhaben. Sie stellten sich professionell am Ortseingang in Höhe vom Anwesen Loy auf und marschierten unter den verwunderten Augen der Straßenanwohner salopp im Gehschritt-Modus durch Aign und Niedernburg. Obwohl es nicht einmal ein Kilometer war, hatten sie jede Menge "Gschau" bekommen. Die einen sagten: "Schaut's omoi de bledn Hund o" (seht euch mal die dummen Hunde an) und die anderen "Mechtens ebba an Armin Hary nochmacha?"(Armin Hary . Deutscher Leichtathlet, Olympiasieger, Europameister, Sprinter im 100-Meter-Lauf) "Do deafans aba a bisserl mehra Gas gem!"(Wenn sie es mit Armin Hary aufnehmen wollen, müssen sie mehr Gas geben) Kurz: Spott und Häme gab es mehr als Beifall. Aber Hauptsache die drei hatten Spaß und vor allem hatten sie ihr gegebenes Versprechen eingelöst. Und die Leute hatten wieder Gesprächsstoff, der in kleinen Dörfern wie Aign und Niedernburg, nie ausgehen durfte. "Ratschn" und "Ausrichtn" war auch Kommunikation, egal ob man jetzt miteinander oder übereinander redete. Die Dorfgemeinschaft funktionierte gerade deswegen so gut, weil man über das Tun der Nachbarn informiert war. Man nahm Anteil und hatte Interesse, was im Dorf abgeht. Freund und Feind lebten oft eng beieinander, aber wenn es drauf ankam, hielt man doch wieder zusammen. Von außerhalb brauchte keiner kommen und dumm daherreden oder sich gar einmischen. "Ja, wer samma denn?" hieß es dann. "Waar ja no des scheena!" (Ja wo sind wir denn? Einmischen ist nicht erwünscht.)
Flüchtlinge, wie es damals so kurz nach dem 2. Weltkrieg viele gab, oder auch Zuagroaste (Zugereiste) genannt, wie unser Vermieter Heinrich Honisch, der mit Elli Liegl verheiratet war, hatten oft einen schweren Stand. Obwohl das Wort "Integration" damals noch nicht geläufig war, bemühte sich "Heini", bayrisch zu sprechen. Ich erinnere mich, dass er das Wort "Zuackn" und "zuackat" (ungehobelt) gerne gebrauchte und stolz darauf war, es aussprechen zu können. Allerdings ein wenig abgewandelt, wenn er schimpfte: "Du zuckerter Zucken!" Der Wille galt für das Werk. Er konnte nicht nur verbal austeilen, sondern auch einstecken. Er nahm es meinem Vater nicht übel, wenn dieser ihn als "Gratler, elendiger" bezeichnete. Vielleicht hat er es auch nicht verstanden, beziehungsweise das Schimpfwort nicht richtig interpretieren können. Und das war gut so, denn mein Vater sagte es nur aus Gaudi, wenn Heini einmal wieder über irgendetwas geprahlt hatte. Zugegebenermaßen - man hatte früher einen etwas anderen, deftigeren Humor. Ich habe festgestellt, der ändert sich von Generation zu Generation. Das merke ich an meinen Kindern und Enkeln. Sie können manchmal mit meinem Humor nichts anfangen und ich nicht mir ihren. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht gut verstehen.
Da fällt mir noch was zu Heini ein: Er hatte einen hellblauen Fiat, mit dem er gerne unterwegs war. Oft auch ohne seine Frau Elli. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Elli bekam heraus, dass da etwas lief mit einer Wilma. Als er wieder einmal wegfahren wollte, hatte Elli entschlossen, mitzufahren. Sie hat inzwischen herausgefunden, dass er Wilma ein Kleid gekauft hatte. Prompt bestellte sie sich das gleiche und zog es bei der von ihr geplanten Ausfahrt mit Heini an. Obwohl es nur kurze Zeit dauerte, hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes das Nachsehen. Heini dampfte ohne sie ab. Er hatte die nächsten Wochen daheim keine gute Zeit. So wie ich mich erinnern kann, überlegte er sich die Sache mit Wilma nochmal. Ansonsten wäre es ihm zum Nachteil geworden. Ja - Untreue hat manchmal seinen Preis und jede Midlife crisis ebbt einmal ab. Elli und Heini haben wieder zusammen gefunden. Jedenfalls habe ich nichts Nachteiliges mehr über die beiden erfahren. Ich bin ja auch mit 20 Jahren wegen Heirat daheim aus-und zu meinem Mann Sepp nach Halfing gezogen. Jetzt hatte ich selbst ein Eheleben mit Mann und drei Kindern, meiner Mutter und Schwiegereltern, sowie Hunde, Katzen, Hühnern, Enten sowie kurze Zeit noch mit einem Stall voller Kühe, den wir aber bald zu Wohnungen ausbauten. Wir hatten beide Berufe erlernt - Sepp war Maurer, ich Großhandelskauffrau. Mit der Landwirtschaft hätten wir kein zufriedenstellendes Auskommen gehabt.