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Anekdoten meiner Eltern: Mit dem Lastwagen zur Trauung

Bayern, Heimat, Tradition, Brauchtum - gestern, heute, morgen

Zwei Menschen fanden zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammen

anno dazumal
Ein geliehenes Brautkleid, Blumen aus dem Garten des Vermieters - die Heirat meiner Eltern war so kurz nach dem Krieg armselig

 

Heute vor 70 Jahren haben meine Eltern Karl und Katharina Giglinger (geb. Strasser) geheiratet. Es war eher eine Schicksalsgemeinschaft, als eine Liebesheirat. Mama war bereits 33 Jahre alt. Sie hatte bereits zwei Liebschaften hinter sich, die auf recht unglückliche Weise beendet wurden. Siegfried kam aus dem Krieg nicht mehr zurück und Hans zog es vor, nach 10-jähriger Beziehung eine reiche Bauerstochter zu ehelichen. Einen Beruf erlernten damals noch wenige Frauen, zumal sie eher für das Wohlergehen von Mann, Kinder und der Führung des Haushalts zuständig waren und zuhause ohnehin jede helfende Hand gebraucht wurde. Bei Mama war es so, dass sie zuhause im elterlichen Anwesen gebraucht wurde.  Mein Opa versprach meiner Mutter im Beisein des Hoferben als Arbeitsentgelt ein kleines Grundstück, das im Besitz der Familie Strasser in Lohen bei Zaisering war. Da es früher ein ungeschriebenes Gesetz war, dass der älteste Sohn erbt und den landwirtschaftlichen Betrieb weiterführt. Das wäre Martin gewesen, der jedoch darauf verzichtete, weil er seine große Liebe Anni in Söcking am Starnberger-See gefunden hatte.  So war klar, dass Mama's zweitältester Bruder Ludwig nachrückte. Der ließ einen notariellen Übergabevertrag zu seinen Gunsten verfassen, den mein Opa am Sterbebett unterschrieb. Er war somit alleiniger Erbe,  von der vorgenannten Zusage wollte er nichts mehr wissen. Meine Mutter hatte die ganzen Jahre umsonst zuhause geschuftet. Danach blieb ihr nichts anderes mehr übrig, als sich bei verschiedenen Bauern ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Gescheiterte Lebensplanung führte Karl und Katharina zusammen

Meinem Papa ging es nicht viel besser. Er und seine etwas jüngere Schwester Berta verloren ihre Mutter, die  im Alter von 42 Jahren an einem Gehirntumor verstarb. Schon zu ihren Lebzeiten pflegte sein gleichnamiger Vater Karl eine Beziehung zu einer Frau, die bereits sieben Kinder von verschiedenen Vätern hatte. Kaum war seine Frau unter der Erde, zog sein Liebchen in das schmucke Haus in Zaisering, das Opa Korbinian Giglinger mit viel Liebe und Leidenschaft für seine Familie erbaut hatte, ein. Die ,,Neue" vergraulte bald darauf dessen Kinder Karl und Berta. Mein Vater war gerade 18 Jahre, als die beiden bei Nacht und Nebel auszogen und zunächst bei Verwandten unterkamen. Seinen Berufswunsch, Kirchenmaler zu werden, hatte sein Vater zuvor schon durchkreuzt, obwohl sich Papa bereits selbst um eine Lehrstelle bei einem namhaften Malerbetrieb in Rosenheim gekümmert hatte. "Diese brotlose Kunst kommt nicht in Frage, du wirst Fahrzeugmechaniker!" so sein Argument. Das war rückwirkend gesehen sehr schade, denn mein Vater hätte das künstlerische Talent gehabt, das er bei der Werkstatt Kronbichler in Schlossberg bei Rosenheim vergeudete. Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, wurde auch mein Vater irgendwann eingezogen. Wann und wohin es ihn verschlug, davon erzählte er nach seiner Rückkehr sehr wenig . Ich weiß nur, dass er in der früheren Tschechoslowakei, in Pilsen war und dass er in amerikanische Gefangenschaft geriet und so unfreiwillig an einem der entscheidendsten Schauplatz des Kriegsendes in Remagen am Rhein um sein Leben fürchten, hungern und frieren musste. 

Karl und Hanni wollten in ihrer jeweiligen Heimat bleiben

Wie und wann er seine erste Frau Hanni kennenlernte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß aber, dass er im Krieg als Flugzeugmechaniker nach Wiener-Neustadt abbeordert wurde, weil sich dort ein Zweigwerk von Messerschmitt-AG befand. Diese Verbindung endete schon nach dem Krieg . Sie wollte mit ihrer unehelichen Tochter Liesi in Österreich bleiben und er wollte unbedingt in seine oberbayerische Heimat zurückkehren . Die Scheidungsformalitäten zogen sich in die Länge und so wurde ich am 3. Januar 1948 als uneheliches Kind geboren. Der damalige Pfarrer bezeichnete mich als "nicht Gott gewollt" und wollte mich auch nicht "Eva" taufen. Das ging offensichtlich nur, wenn ich eine Heilige als zweiten Vornamen hätte,  So kam es, dass ich noch den Namen der ,,Heiligen Maria" dazubekam. Das führte dazu, dass ich  mich im zarten Alter von ungefähr drei Jahren bei den Leuten, die mich neugierig fragten: "Du,du, du - ja wie heißt du denn????" immer mit "Eva Amia von Giglinger" vorstellte. Damals konnte ich mir nicht erklären, warum ich dafür immer schallendes Gelächter erntete.  Ich war doch "Eva Amia" - Maria konnte ich damals noch nicht fehlerfrei aussprechen. Und ich gehörte meinen Eltern, die sich Giglinger schrieben. Also war ich  "von" Giglinger. Na also, warum wurde ich dafür ausgelacht? Meine Eltern erzählten es später jeden, der es hören und nicht hören wollte. Damals war es mir immer peinlich. Heute kann ich darüber schmunzeln. Schließlich war ich für eine kurze Zeit eine "von", wenn auch eine "von und zu Habenichts", wie man in Bayern zu Leuten sagt, die nicht wohlhabend, sondern arme Schlucker sind. 

Ein schwarzes Brautkleid, Hühnerragout und ein Dach über dem Kopf

Eigentlich wollte ich ja über die Heirat meiner Eltern schreiben, weil der Ablauf einfach kurios und rückwirkend lustig erscheint. Sie waren beide bettelarm und fanden beim bäuerlichen "Schuster-Anwesen" in Aign bei Zaisering Gemeinde Vogtareuth Unterschlupf. Die Wohnküche war sieben Quadratmeter und das Schlafzimmer rund 12 Quadratmeter groß. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf und die Vermieter waren freundliche und hilfsbereite Leute. Die standesamtliche Hochzeit fand am Samstag, den 10. April 1948 im Gemeindehaus in Vogtareuth statt. Meine Eltern hatten keinerlei Fahrmöglichkeiten, dort hinzukommen. Keine Räder und kein Moped - rein gar nichts konnten sie ihr Eigen nennen. Also blieb eigentlich nur der Fußmarsch, hätte sie nicht ein netter Bekannter aufgelesen und ihnen einen Platz auf seinem Lastwagen, die damals auf der Ladefläche meist eine Bank zur Personenbeförderung hatten, angeboten. Sie nahmen natürlich dankbar an.  Meine Mutter hatte ein schwarzes, geliehenes ,,Brautkleid" an und auch mein Vater hatte sich mit dem feinsten Tuch, das ihm zur damaligen Zeit zur Verfügung stand, herausgeputzt. So kutschierten sie bei regnerischen Aprilwetter die knapp sieben Kilometer bis zur Trauungsstätte in Vogtareuth, um schließlich im Hafen der Ehe einzutrudeln. Gretl Wimmer, die Vermieterin lud sie anschließend zu einem herzhaften Hühnerragout mit Semmelknödel ein. Eine kirchliche Heirat war nicht möglich, weil mein Vater geschieden war.

 

Leider vergönnte der Herrgott meinen Eltern Karl und Katharina Giglinger (geb. Strasser) nur zwanzig gemeinsame Jahre. Kurz nach meiner Heirat im Juni 1968 verstarb mein Vater im Alter von nur sechzig Jahren (8.November 1968) an einem Lungenkarzinom. Er hatte sich so gefreut, als ich ihm im Klinikum Rechts der Isar in München gesagt habe, dass er Opa wird.  Er hat die Geburt meiner ältesten Tochter Carina nicht mehr erlebt. Meine Mama starb am 1. November 2000. Sie war meinen drei Kindern eine wunderbare, liebevolle Oma. 

 

An diesem heutigen Datum denke ich besonders an die beiden, denen ich trotzdem, dass wir nie mit Reichtümer gesegnet waren, viel verdanke! Sie haben mir Werte beigebracht, die mich lebenstauglich und stark machten. Mehr Kapital kann man einen Kind eigentlich nicht auf den Lebensweg geben.